Auf keinen Fall! Dies wäre normalerweise meine Reaktion als Übersetzer. Es gibt halt zu viele amüsante und sogar peinliche Beispiele, die dagegen stimmen. Fangen wir also einfach mal mit einem solchen Fall an: Google Translate behauptet, es würde von Sprache A in Sprache B übersetzen. Fürs Englische stimmt das auch, aber bei allen anderen Sprachen scheint es wohl immer übers Englische zu gehen, also A > E > B: So folgt die App beispielsweise recht gehorsam dem Zufallsprinzip wenn es ums Duzen und Siezen geht – und die Erklärung liegt wahrscheinlich darin, dass es über eine Zwischensprache geht, die diese Unterscheidung nicht kennt, eben das Englische.
Hm.
Dann ist es also völlig nutzlos?
Oder hängt es eher davon ab, was man mit Google Translate macht? Wie gesagt, als Übersetzer würde ich diese App vermeiden, und gute Gründe gegen maschinelle Übersetzungen finden Sie auf meiner Webseite in der Rubrik „Häufige Fragen“.
Jedoch bin ich nicht nur Übersetzer, sondern auch passionierter Sprachenlerner und -liebhaber, und so möchte ich hier die Gelegenheit wagen, um einige nützliche Punkte von Google Translate anführen.
Meine beiden Hobbysprachen (die ich nicht professionell anbiete) sind Polnisch und Chinesisch.
Zunächst Polnisch:
Mir wird oft die Frage gestellt: Bringst du denn nie Russisch und Polnisch durcheinander? Um ehrlich zu sein, ja. Aber es gibt durchaus Möglichkeiten, die Interferenz zwischen den beiden Sprachen zu mildern. Und genau hierfür finde ich Google Translate zuweilen recht nützlich – und das obwohl (wie bereits angemerkt), die App übers Englische zu gehen scheint.
Hier ein Beispiel. Google Translate kommt ganz gut mit sehr einfachen Ausdrücken zurecht. Vor kurzem habe ich beispielsweise den polnischen Ausdruck na domiar złego, … („was noch schlimmer ist“), gelernt. Kaum hatte ich jedoch den Ausdruck irgendwie verinnerlicht, da merkte ich, dass ich mich nicht mehr an die entsprechende Redewendung im Russischen erinnern konnte. Eine geistige Blockade! Ohne besonders zuversichtlich zu sein, habe ich dann in Google Translate nachgeschaut, und zu meinem Erstaunen hatte die App sogar die richtige Antwort: Что еще хуже, … Ich hatte eher irgendeinen Blödsinn erwartet (wie halt so oft!), aber da war‘s, – gleich auf Anhieb – und hat mein Gedächtnis freundlicherweise wachgerüttelt.
Ein weiterer Punkt ist Grammatik. Wenn es um grammatische Endungen geht, kann man Google Translate meist ganz gut vertrauen, und so braucht die App zum Beispiel nicht lange, um von einer flektierten Sprache zur anderen ein ganzes Paradigma auf den Bildschirm zu zaubert (hier: Russisch und Polnisch) – angenehm formatiert, so dass man es dann schön in eine Word-Datei einfügen kann, um sich dort das Paradigma anzuschauen, sich dran zu freuen und ins eigene Gehirn einzubauen. Hier das Beispiel: „schwimmen“: плавать, pływać, schön nebeneinander, so dass man ein Gefühl für den Unterschied im Stammvokal bekommt: a im Russischen und y im Polnischen. Sehr angenehm! Jetzt ist es wohl weniger wahrscheinlich, dass ich bei einer polnische Unterhaltung übers Schwimmen unter russischer Interferenz leide.
Hier ist jedoch Vorsicht angesagt, denn ganz so gut funktioniert es nicht immer. Wenn man zum Beispiel die Pronomina (я, ты, он, …) im russischen Paradigma auslässt, dann produziert Google Translate Blödsinn:
Hm. Nicht so gut!
Nun ein paar Worte zu meiner zweiten Hobbysprache, dem Chinesischen: Der Bereich, in dem ich Google Translate sehr nützlich finde, ist Aussprache und Phonetik, da die App nicht nur eine Übersetzung liefert, sondern auch Pinyin.
Pinyin ist ein System der Aufzeichnung des Chinesischen in lateinischer Schrift, und zwar mit Hilfe von vier Akzentzeichen, die jeweils die vier Töne des Chinesischen wiedergeben. Diese Töne sind äußerst wichtig, da sie bedeutungsunterscheidend sind. Als Lernender kommt man nicht um sie herum. Wenn man sich im Ton vergreift, sagt man oft etwas ganz Anderes, als was man gerne sagen möchte! 好 (hăo, Ton steigend und dann fallend) bedeutet beispielsweise „gut“, und 号 (hào, Ton fallend) bedeutet „Zahl“.
Als Lernender muss man daher Vokabeln stets in drei Blöcken lernen, nicht nur in zwei (wie bei einer Sprache mit Alphabet): Chinesisch, Pinyin und die eigene Sprache. Obwohl Google Translate oft fehlerhafte Übersetzungen liefert, so ist es in seiner Pinyin-Transkription meist zuverlässig, denn es kann ja in der Regel einem Eins-zu-eins-Algorithmus folgen, was für ein Computerprogramm ziemlich idiotensicher ist. Hier ein Beispiel:
„Cèsuǒ huì zài nǐ de zuǒbiān“ kann man nun einfach kopieren und in eine Vokabelliste einfügen – oder in ein Karteikarten-Programm wie z.B. Anki. Das Wichtige ist halt, dass die Tonzeichen fast immer stimmen. Und es ist natürlich weit weniger zeitraubend, als die Tonzeichen per Hand einzufügen.
Eine weitere interessante Funktion verbirgt sich hinter dem Lautsprechersymbol. Ein Klick, und eine freundliche chinesische Google-Roboterin liest den Satz in einer nahezu perfekt synthetisierten muttersprachlichen Stimme vor – natürlich mit den richtigen Tönen. Selbstverständlich wäre eine richtige menschliche Stimme noch schöner – aber es hilft auf jeden Fall. Und die Roboterin hört sich wirklich sehr gebildet an. Das Gleiche gilt natürlich für ihre Kolleg(inn)en in anderen Sprachen.
Der nächste Punkt dürfte für jeden beliebigen Sprachlernenden nützlich sein. Obwohl sich das Beispiel aufs Chinesische bezieht, kann man es auch beim Lernen anderer Sprachen anwenden.
Google Translate kann man gut dafür verwenden, seine eigene Aussprache zu testen. Man muss einfach nur auf das Mikrofonsymbol klicken und einen Satz in der Fremdsprache aussprechen. Wenn die Stimmerkennung korrekt ist, herzlichen Glückwunsch! Wenn nicht, dann muss man noch ein bisschen üben – bis es klappt.
Hier ein Beispiel, wie Google Translate mit einem Aussprachefehler umgeht:
厕所回在你的左边. Cèsuǒ huí zài nǐ de zuǒbiān.
Ich hatte eindeutig ein Wort mit dem falschen Ton ausgesprochen: huí(2. Ton) statt huì (4. Ton), und das zeigte sich dann sofort: Korrekt hätte es heißen sollen: 厕所会在你的左边。
So wusste ich also, dass ich diesen Satz erneut üben musste, und zwar solange, bis Google Translate das richtige Wort 会lieferte (siehe oben).
Dies kann natürlich auf jede beliebige Sprache angewandt werden. Wenn keine Muttersprachler zur Hand sind, ist Google Translate ein gutes Werkzeug, um seine Aussprache in einer Fremdsprache zu testen und verbessern.
Aber ist denn Google Translate nicht fürs Übersetzen konzipiert? Hat es irgendeinen Nutzen – vielleicht wenigstens außerhalb einer professionellen Sphäre? Das Programm ist in der Tat recht nützlich, ab und zu mal ein Wort oder einen Ausdruck in einer informellen Situation nachzuschlagen, wenn nicht alle perfekt Englisch (oder Deutsch) sprechen. Meine Frau und ich leiten beispielsweise einen internationale Bibelabend, wo einige chinesische Studenten zu uns kommen, die manchmal das Englische recht schwer finden. Da kann es schon hilfreich sein, ab und zu mal Google Translate auf dem iPad zu befragen. Manchmal liefert das Programm ziemlichen Unsinn, aber das merkt man dann an den fragenden Gesichtern, lacht zusammen und wir versuchen es nochmal, mit einem Synonym. Ganz wichtig: es empfiehlt sich, Google Translate eher als Online-Wörterbuch zu behandeln, das Vorschläge unterbreitet, und nicht als Übersetzungsprogramm.
Hier ein Beispiel, das im Kontext von Bibelarbeit durchaus brauchbar ist, besonders da auch einige Alternativen vorgeschlagen werden:
Schlussendlich ein kleines unterhaltsames Element:
Google Translate ist hervorragend, wenn es um Ortsnamen geht: Hier einige Beispiele von Ortsnamen, die Google Translate ins Chinesische übersetzt hat – jedoch durcheinandergewürfelt. Können Sie die Orte raten? Jedoch Vorsicht! Eine der Ortsnamen ist KEINE phonetische Übersetzung, und ein weiterer ist nur teilweise phonetisch. Die Auflösung steht unter der Tabelle. Um den Klang der übersetzten Namen wirklich zu genießen, braucht man sie nur in Google Translate eingeben und dann auf das Lautsprechersymbol drücken.
Częstochowa (Polen) | 克拉科夫 Kèlā kē fū |
Henley on Thames (England) | 第聂伯罗彼得罗夫斯克 Dì nièbóluó bǐdé luō fū sīkè |
Krakau (Polen) | 慕尼黑 Mìníhēi |
Leverkusen | 考文垂 Kǎo wén chuí |
München | 泰晤士河畔亨 Tàiwùshì hépàn hēnglì |
Днепропетровск (Dnepropetrovsk, Ukraine) | 勒沃库森 Lēi wò kù sēn |
Coventry (England) | 琴斯托霍瓦 Qín sī tuō huò wǎ |
Lösung: 1g, 2e, 3a, 4f, 5c, 6b, 7d
Zusammenfassend: Google Translate ist zwar kein professionelles Werkzeug, kann aber gut für informelle Zwecke eingesetzt werden (insbesondere Sprachenlernen), informelle Gruppenarbeit und Unterhaltung. In diesen Gebieten ist das Programm hervorragend geeignet – vorausgesetzt, man traut den Übersetzungen nicht all zu sehr.
Mich würde mal interessieren, ob es eventuell noch weitere kreative Nutzungsmöglichkeiten gibt.